Édouard Louis
Anleitung ein anderer zu werden (Aufbau Verlag)
Was mich an diesem Autor fasziniert, ist sein Mut zur Offenheit. Schonungslos und ohne sich auch nur ein bisschen vorteilhaft zu präsentieren, berichtet er, wie besessen er von der Idee war, alle Spuren seiner Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen zu beseitigen und so zu werden, wie die Männer, die er bewundert: Gebildet, kultiviert, erfolgreich, schön. Dazu gehörten nicht nur manisches Lesen und das Einüben von bürgerlichen Ritualen, eine gepflegte Ausdrucksweise oder ein neues Lachen. Auch ein neuer Name, Kleidung, Körperhaltung und die aufwendige Zahnregulierung waren Teil seines Plans. Doch der Zwiespalt zwischen der Welt, aus der er stammt, und der Welt, zu der er gehören will, zerreißt Édouard Louis. Denn eines kann er niemals erreichen: Einer von denen zu sein, die im Wohlstand geboren und ganz selbstverständlich mit Bildung und Kultur aufgewachsen sind.
Édouard Louis‘ Wahn aufzusteigen und sich von seiner Herkunft loszusagen, erinnert mich ein bisschen an Andy Warhol. Nur dass Warhol darüber kaufsüchtig wurde, während Louis sich akribisch in einen Intellektuellen verwandelte. Um am Ende festzustellen, dass er dabei viel verloren hat.
Ein ehrliches Buch, intensiv und bewegend. Ein Kritiker schrieb bedauernd, Louis schriebe immer nur über sich selbst und es wäre schön, er würde sein Talent einmal für andere Geschichten nutzen. Da mag etwas dran sein, aber mich hat er bislang mit seinen Büchern noch nicht gelangweilt.
#MarensAdventskalender2022
Schreibe einen Kommentar