15. Dezember
Edgar Selge
Hast Du uns endlich gefunden (Rowohlt Verlag)
Edgar Selge schreibt ein Buch, als habe er sein Leben nichts anderes gemacht, so gut ist das. Er schildert seine Kindheit als jüngster Sohn eines Gefängnisdirektors, der sich im Nachkriegsdeutschland mit Hauskonzerten und Familienvorlesestunden als kultiviert gibt, doch zugleich seinen Jüngsten brutal schlägt und ihm auf diese Weise die lebenslange Scham des Opfers einimpft. Was an diesem Buch autobiographisch und was fiktional ist, ist für mich Nebensache, weil die Geschichte ungeheuer dicht und stimmig ist. Diese Parallelwelt, in der sich das jüngste Kind der Familie bewegt, wie es die Eltern und die großen Brüder beobachtet, sich seinen eigenen Reim darauf macht, was jeden von ihnen antreibt, wo seine schwache Stelle ist, ist extrem gut geschildert. Das Kind hat den Wunsch, zur Familie zugehörig zu sein und zugleich das Bedürfnis, die Regeln zu überschreiten, sich durch Lügen oder Heimlichkeiten abzugrenzen. Zwischendurch taucht der erwachsene Selge als Autor auf, kommentiert etwas, rückt anderes gerade, so wie wir Fotos in einem Album sortieren oder mit einer Erklärung versehen. Das ist alles sehr locker und kunstvoll miteinander verwoben. Für mich ist das ein wirklich großes Buch eines großen Schauspielers.
Völlig zu Recht hat Edgar Selge den Hörbuchpreis (bester Interpret) für dieses besondere Werk bekommen. Ich habe meine CD gerade verliehen, daher gibt’s jetzt ein Foto vom Buch, das ich verschenken werde.
#MarensAdventskalender2022
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