15. Dezember
Anna Haag, Denken ist heute überhaupt nicht mehr Mode (Reclam)
Es ist eines der eindrücklichsten Bücher, das ich im letzten Jahr gelesen habe. Anna Haag, Journalistin und Schriftstellerin, notierte 5 Jahre lang, was sie in Nazi-Deutschland nicht laut sagen durfte. Aber sie musste sie los werden, ihre Wut und Angst, die Sorge um die erwachsenen Kinder, von denen zwei in England lebten, und eine Tochter mit einem begeisterten Nazi verheiratet war. Anna Haag schrieb nicht nur auf, was sie selbst dachte und fühlte, sie gab auch Gespräche beim Bäcker oder in der Straßenbahn wieder und wurde so zu einer besonderen Chronistin des Alltags in der NS-Zeit. Sie notierte, was Fremde und Freunde erzählten und es verschlägt einem die Sprache, wie offen manche Menschen über die Verbrechen der Nazis geredet haben. Ob Anna Haag mit einem Publikationsverbot belegt wurde, ob eine ihrer Erzählungen in einer BDM-Zeitschrift erschienen ist – darüber wird zur Zeit noch diskutiert und geforscht. Klar ist: Sie hat ihr Tagebuch nicht im Nachhinein „geschönt“, sondern nur manche Passagen gekürzt.
Auf dieses Buch machte mich Kollege Uwe Becker aufmerksam. Er schickte mir eine Rezension aus der FAZ mit der Frage „Wäre das nicht was für ein ZeitZeichen?“ Ich las den Artikel, recherchierte ein wenig und reichte die Frage an die Redaktion weiter. Das Thema wurde akzeptiert. Heute produziere ich die Sendung im Dortmunder Studio. Das Interview mit Jennifer Holleis, der Herausgeberin des Tagebuchs, habe ich schon vor einiger Zeit aufgenommen, die Texte von Anna Haag hat die geniale Cathlen Gawlich letzte Woche gesprochen. Hören könnt Ihr die Sendung am 20. Januar, aber lesen könnt Ihr das Tagebuch von Anna Haag jetzt schon. Ein wichtiges Buch!
#MarensAdventskalender2021
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