23. Dezember.
Urs Faes: Untertags
Für mich war es eines der wichtigsten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe und eines, über das ich gar nicht so leicht etwas sagen kann. Die Geschichte klingt so banal: Es geht um ein Paar das sich in 2. Ehe miteinander verbunden hat, beide geschieden, beide mit erwachsenen Kindern. Auf einem Flughafen lernten sie sich kennen, Jakov, der kernige Amerikaner mit Stiefeln, Cowboyhut und deutschen Wurzeln, und Herta, die Schweizerin, die sich nach tiefer Verletzung durch ihren ersten Mann mit ihm in eine neue Liebe stürzt.
Alles geht gut, bis nach vielen gemeinsamen Jahren Jakovs Gedächtnis nachlässt. Zunächst schauen sie beide darüber hinweg, doch dann wird es immer deutlicher. Er verliert die Orientierung, dann einzelne Wörter und bald die gemeinsame Sprache.
Ich weiß nicht, ob Autor Urs Faes manchmal auf seine Tastatur hämmert, dieses Buch klingt jedoch so, als habe er die Buchstaben eher behutsam getippt. Seine Sprache ist klar und zart wie Glas, hart und durchscheinend, schmerzhaft und kühlend. Wie das Halteseil, das Herta durch ihr Haus spannen muss, damit Jakov den Weg findet, führt uns die sehr feine und wahrhaftige Sprache von Urs Faes durch die Geschichte.
Herta muss nicht nur verkraften, dass sie Stück für Stück das gemeinsame Leben und den Geliebten verliert, sondern es geschieht noch etwas anderes Unerhörtes: Die Mauer um verdrängte Erlebnisse, die lange vor Hertas Zeit in Jakov eingegraben und verschlossen wurden, zerbröseln, und Jakov wird gequält von Erinnerungen, von denen Herta gar nichts weiß, mit denen sie aber umgehen und fertig werden muss.
Über allem schwebt die Frage: Was gehört uns eigentlich noch von unserem Leben, wenn wir die Erinnerung verlieren? Und was verbindet ein Paar, wenn einer nicht mehr weiß, was er mit dem anderen erlebt hat? Klar ist, da bleibt etwas, und es trägt den einfachen Namen Liebe.
#MarensAdventskalender2020
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