In diesem Sommer kamen die Ferien zwar nicht überraschend, aber ein paar Tage lang wussten wir nicht, ob und wann wir fahren würden. Als ich dann endlich doch packte, habe ich den Stapel Bücher, den ich wochenlang sorgfältig für die Ferien vorbereitet hatte, glatt übersehen und nur schnell nach den Büchern gegriffen, die mir gerade so in die Finger kamen.
Das Resultat war eine überraschend ausgewogene Mischung, womit die Intuition mal wieder gesiegt hat.
Es gibt Bücher, die führen uns von unserem Leben weg, und es gibt Bücher, die führen uns zu uns hin. In den Ferien hätte ich gerne beides. Manche Geschichten unterhalten mich prächtig, andere sind einfach nur süffig und strengen nicht an, wieder andere berühren sanft, schmerzhaft oder machen einfach nur selig. Am schönsten sind natürlich Bücher, die das ALLES können, aber es wäre gar nicht auszuhalten, nur solche Bücher zu lesen. Daher muss meine Ferienlektüre so sein, wie ein guter Keks: Sie darf nicht nur aus Schokostückchen bestehen, sondern darf an manchen Stellen einfach nur Keks sein.
Martin Walkers neuester Bruno-Krimi muss natürlich mit, wenn man ins Perigord fährt. Inzwischen ist er bei seinem zehnten Buch angekommen, die ersten drei fand ich großartig, dann ließen die Geschichten für meinen Geschmack nach, Bruno wurde mir ein bisschen zu sehr zu einem Supermann getrimmt und ich finde, er versteht überhaupt nichts von Frauen. „Grand Prix“ habe ich aber ehr gerne gelesen, nicht zuletzt, weil das Titelfoto „mein“ perigordinisches Städtchen ziert. Also habe ich mit Martin Walker den Platz unter dem Walnussbaum in diesem Sommer eingeweiht. Gute Unterhaltung, vor allem, wenn man das Perigord kennt und liebt. Ein leichtes Ferienvergnügen. Aber es bleibt nicht wirklich viel davon im Kopf zurück. Muss es auch nicht. Es ist eben mehr Keks.
Francoise Girouds Buch „Ich bin eine freie Frau“ ist da ein ganz anderes Kaliber. Ich hatte zuhause schon angefangen darin zu lesen, aber ich war aber nicht so richtig eingestiegen. Nun fesselten mich diese sehr persönlichen Aufzeichnungen einer außergewöhnlichen Journalistin so sehr, dass ich mich öfters aus der bequemen Liegeposition aufsetzte. Einfach, weil es Sätze gibt, die ich lieber im Sitzen lese. Giroud war Mitbegründerin des L’Express 1953. Die Zeitschrift war zuerst ein linkes Nachrichtenblatt für das auch Sartre und Camus geschrieben haben. Doch darum geht es nur am Rande. Francoise Giroud hatte sich das Leben nehmen wollen und war nur durch einen Zufall gerettet worden. Ihr Weg zurück ins Leben war schwer. Ein Arzt riet ihr dazu, alles aufzuschreiben, was zu der Krise geführt hatte. Genau das ist das Anliegen dieses Buches, das sie zunächst nur für sich selbst geschrieben hat. Der Text ist auch erst nach ihrem Tod erschienen und kaum lektoriert. Manches hat Giroud selbst überarbeitet, anderes klingt fast noch stichwortartig, schnell heruntergeschrieben. Man kann so ein Buch nicht lesen, ohne sich zu fragen, wie der eigene Lebensentwurf aussieht. Welche Kompromisse mache ich im Leben? Und warum? Und wie geht es mir damit? Das Buch stellt Fragen und reißt Fenster auf. Aber es macht auch Mut und zeigt, dass es allemal besser ist, ehrlich zu sich selbst zu sein.
Donna Leon gehört auch oft zu meiner Ferienlektüre. Wenn gerade eine neue erschienen ist, nehmen wir sie mit. Viel fällt mir leider nicht dazu ein. Diesmal beginnt die Geschichte sehr schön auf einer der Inseln. Aber das Ende ist so unbefriedigend, als hätte man der Autorin mitten im Schreiben gesagt, „Komm zum Schluss, die 220 Seiten sind voll.“ Sorry, Donna Leon, aber ich glaube, diese Geschichte hätte einen anderen Schluss verdient. Dann wäre es ein rundes Vergnügen gewesen.
Und dann war dann da noch das Buch von Jocelyne Saucier, das mir ein Freund so ans Herz gelegt hatte. Eine ganz und gar unwahrscheinliche Geschichte und doch völlig glaubwürdig und sehr schön. Ein Märchen von drei Männern, die sich aus der zivilisierten Welt verabschiedet haben und in den kanadischen Wäldern nach ihren eigenen Regeln leben. Und genau deshalb können sie eine alte Dame in ihrer Mitte aufnehmen, die einer Nervenheilanstalt entflohen ist. Eingebettet ist das Ganze in eine Recherche zu den Überlebenden der großen Brände in Kanada Anfang des 20. Jahrhunderts. Und wie alle Bücher, die vom Menschsein erzählen, ist es auch hier so, dass ich als Leserin Freundschaft knüpfe mit Menschen, die ich mir vorher so nie hätte vorstellen können. Und dass sie mich sogar einiges lehren. Ein Buch, das keine Lebensweisheiten vermitteln will und es gerade deshalb kann.
Danach schlug ich Meinrad Brauns „Die abenteuerliche Reise des Pieter van Ackeren in die Neue Welt“ auf. Ein echter Schmöker! Leider sind die Begriffe „farbenprächtig“ und „opulent“ schon so abgenutzt, dass ich sie fast nicht verwenden mag, obwohl sie hier perfekt passen. Wie das junge schnöselige, verwöhnte Bürschchen Pieter um das Jahr 1700 auf dem Schiff in Richtung Südamerika fährt, wie er von einem Abenteuer ins andere stolpert, wie er mit seiner feinen Kleidung, die ihm nach und nach abhanden kommt, auch seinen Hochmut und seine religiöse Engstirnigkeit ablegt, das ist großartig erzählt. Daneben erfährt man en passant tausend Dinge über die Seefahrt, Flora und Fauna des Dschungels und vor allem, wie man in dieser „neuen“ Welt überlebt, wenn man nicht mehr besitzt als den scharfen Zahn eines Raubfischs. Aber auch die Welt der Sklavenhalter, der Missionare, der Verwalter von Neu-Spanien, und der Indios wird präzise gezeichnet, ebenso akribisch genau, wie Sybilla Merian die Käfer abgebildet hat. Diese Dame kommt natürlich auch vor. Meinrad Braun drückt sich dabei nicht herum und sucht nach politisch korrekten Schilderungen, sondern greift sich mutig die schönsten und die schlimmsten Züge der Menschen um 1700 heraus. Ein wirklich toller Roman, den ich verschlungen habe.
Die Heimreise kam natürlich wie immer zu schnell, aber sie hatte noch einen echten Schatz für uns parat: Mariana Leky: „Was man von hier aus sehen kann“. Wir haben es uns als audiobook vorlesen lassen von Sandra Hüller, die das ganz ausgezeichnet macht.
Dieses Buch ist ein Geschenk. Es zeigt uns, dass in einem öden Dorf im Westerwald die ganze Welt sichtbar wird. Das bedeutet, dass sie uns allen, egal, wo wir leben und was wir tun, sichtbar wird, wenn wir nur die Augen öffnen. Es gibt eigentlich kein schöneres Gefühl für die Heimreise aus den Ferien, oder?
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