“Châlus? Châlus! Anhalten! Sofort! Hierhin wollte ich schon IMMER!” So oder so ähnlich brüllte ich auf der Rückfahrt aus dem Perigord plötzlich los. Mein Mann hatte beschlossen, mal eine andere Strecke als die Autobahn zu nehmen. Ich saß gerade ganz gemütlich auf dem Beifahrersitz, als wir das Ortseingangsschild von Châlus passierten, was in mir so etwas wie einen Stromstoß auslöste. Denn dieser Name ist für mich als Mittelalterhistoriker:in magisch! Wie oft hatte ich ihn an der Autobahn gelesen und daran gedacht, einen Abstecher dorthin zu machen. Aber es passte einfach nie. Entweder waren wir schon fast am Ziel oder gerade erst auf dem Heimweg. Aber nun war klar: Jetzt oder nie. Also rief ich „Anhalten“, mein Mann fuhr bei der nächsten Gelegenheit rechts ran, ich googelte die Route, wir bogen ab ins Centre Ville und standen 5 Minuten später vor der berühmten Burg Châlus-Chabrol.
Hier war es also. Von hier oben schoss der französische Armbrustschütze im April 1199 den Pfeil ab, der Richard Löwenherz am Hals treffen und ihm 10 Tage später den Tod bringen sollte. Deshalb ist die Burg von Châlus berühmt. Ich kannte die Geschichte seit Jahrzehnten, seit ich über Richards Mutter, Eleonore von Aquitanien ein Kapitel in meinem Buch „Königinnen“ geschrieben hatte. Richard Löwenherz hatte die Burg belagert, weil ihr Besitzer, Adémar V., Vizegraf von Limoges, sich ihm widersetzt hatte. Dabei traf Richard besagter Pfeil, der Arzt konnte ihn herausschneiden, aber die Wunde entzündete sich, Eleonore von Aquitanien eilte aus dem Kloster Fontevraud zu ihrem geliebten Sohn und blieb bei ihm bis zu seinem Tod.
Wir kauften Tickets und durchstreiften die Burg, was sich wirklich lohnt.
Im ersten Moment kam es mir allerdings etwas schräg vor, dass die Fahne mit dem Wappen der englischen Plantagenets über der Burg weht, denn Richards Truppen haben die Belagerung nach seinem Tod abgebrochen und die Burg nie erobert. Doch in Châlus bewahrt man die Erinnerung an die französischen Besitzer UND an Richard Löwenherz. So muss man das heute wohl machen, wenn man weiß, dass viele englische Touristen vorbeikommen.
Die Burg liegt sehr schön auf einem Hügel. Es gibt einen Wachsaal, einen massiven Ecktum, einen mittelalterlichen Palas und einen Bergfried aus dem 11./12. Jahrhundert. Wenn man ganz nach oben steigt, kann man kann sich ausmalen, wo Richard Löwenherz gestanden haben könnte, als er angeschossen wurde. Hier wird Geschichte besonders anschaulich. Egal, was man von Richard Löwenherz hält (heute sehen ihn die Historiker:innen ja viel kritischer als früher), solche Plätze sind Ausgangspunkte für Zeitreisen und es ist schön, dass es sie gibt.
Dass Richard hier beerdigt sein soll, wie es der Flyer erzählt, denn man mit dem Ticket in die Hand bekommt, stimmt übrigens nicht. Sein Gehirn und seine Eingeweide liegen in Charroux im Poitou, das Herz in der Kathedrale von Rouen und der restliche Körper in der Abtei Fontevraud, wo auch sein Vater Heinrich II. und seine Mutter Eleonore von Aquitanien bestattet sind.
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