Dörte Hansen: Mittagsstunde. Gelesen von Hannelore Hoger
Dies ist eines meiner Lieblingsbücher 2018! Am Anfang bin ich zwar neugierig, aber auch etwas widerwillig, quasi mit hochgezogenen Schultern und sehr vorsichtigen Schritten – um Pfützen und Kuhfladen zu vermeiden – in die dörfliche Welt von Brinkebüll hineinspaziert. Am Ende saß ich in der Dorfkneipe beim Schnaps und hätte Ingwer Feddersen gerne etwas Aufmunterndes gesagt, aber naja, die Norddeutschen sind ja nicht so für rheinisches Geplapper.
Dass Dörte Hansen eine sehr gute Erzählerin ist, war ja schon nach „Altes Land“ klar. Aber in Mittagsstunde geht sie noch einen Schritt darüber hinaus. Sie zoomt die Menschen mit ein paar Sätzen so nah an die LeserInnen heran, dass wir gar nicht anders können, als sie genau zu betrachten und uns für sie zu interessieren. Für den unermüdlichen Lehrer, der ein großes Geheimnis hat, den Bäcker, dessen Tortenkünste niemanden interessieren, die schräge Marret, die nicht weiß, was sie mit dem Kind anfangen soll, dass sie entbunden hat. Sönke und Ella, die raufend und kichernd auf ihre Gnadenhochzeit warten. Die Kaufmannsfrau, die mit dem Eis in der Hand dabei zuschauen muss, wie ein Kind vor ihren Augen überfahren wird. Oder Gönke, deren Wut von Geburt an tief im Bauch sitzt und die durch Bücher gerettet wird. Und immer dazwischen Ingwer Feddersen, der zwar Archäologe in Kiel geworden ist, der aber seine Herkunft wie ein Panzer um sich trägt. Dass die bäuerliche Welt Brinkebülls verschwindet oder schon vergangen ist, ist traurig. Aber die Menschen bleiben ja, was sie sind, und wenn auch die Nachfahren der alten Dörfler aus Brinkebüll in 100 Jahren eine so zugewandte Erzählerin finden, ist alles gut.
Hansens Sprache ist voller Musik. Und wahrscheinlich kann niemand dieses Buch so gut vorlesen, wie Hannelore Hoger.
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