19. Dezember
Sylvain Tesson, Der Schneeleopard (Rowohlt Verlag)
„Auf Reisen sollte man immer einen Philosophen bei sich haben.“
Sylvain Tesson begleitet den Fotografen Vincent Munier nach Tibet. Munier will versuchen, Schneeleoparden zu fotografieren. Es ist eine ehrgeizige Expedition, denn der Schneeleopard ist ein extrem scheues Tier, deshalb fragt Tesson nach: „Ich dachte, der sei ausgestorben.“ Muniers Antwort lautet: „Er tut nur so.“
Der Aufenthalt in den Bergen bei minus 25 Grad ist mühsam und besteht vor allem aus Warten. Stundenlang liegen sie auf der Lauer und starren angespannt auf die Felsen, beobachten Yaks, Wölfe oder Vögel. Tesson hat viel Zeit, um nachzudenken. Über die Welt und das Leben, den Tod, die Schönheit, die Kunst und die Sprache: „Für Gegensätzliches ein ähnliches Wort zu benutzen, verschafft dem Leid der Welt keine Linderung.“
Irgendwann ist es nicht mehr wichtig, ob sie einen Schneeleoparden entdecken oder nicht, weil Tesson begreift, dass der Weg das Ziel ist. Seine Gedanken verdichten sich zu wunderbaren Sätzen:
„Die Lauer war ein Gebet. In der Betrachtung der Tiere glichen wir Mystikern: Wir verneigten uns vor der Urerinnerung. Auch das vermochte die Kunst: Die Trümmer des Unbedingten wieder zusammenzusetzen. Die Gemälde in den Museen waren lauter Steinchen desselben Mosaiks.“
Mein Buch des Jahres 2021
#MarensAdventskalender2021
Schreibe einen Kommentar